Sonntag, 20. Oktober 2013

Leseprobe - Gespalten

Ich sei stets ein fröhliches Kind gewesen und habe alle Operationen willig über mich ergehen lassen, erzählten mir meine Eltern. Auf die Frage, wie ich auf andere Leute gewirkt habe, meinte mein Vater, dass es für einige nicht ganz einfach gewesen sei. Verständlich, wenn sich bei einem lachenden Kind plötzlich die Oberlippe spreizt. ...


Ich weiß nicht, was passiert wäre, wenn ich meine Eltern oder Lehrer über die Geschehnisse informiert hätte. Vielleicht wäre ja alles noch schlimmer geworden. Damals hatte ich das Gefühl, meine Probleme selbst lösen zu müssen.
Manchmal fühlte ich mich so mies, dass ich partout nicht zur Schule wollte. Dann habe ich das Fieberthermometer an die brennende Nachttischlampe gehalten, um Fieber vorzutäuschen, damit mich meine Mutter von der Schule abmeldete. ...

Meine nächste heimliche große Liebe galt Marie. Wir feierten im Keller ihren fünfzehnten Geburtstag. Markus war ebenfalls da. Zwischen den beiden hatte es gefunkt und ich stand wieder im Abseits. In meinem Kummer setzte ich mich vor die Tür des Partyraums und ließ meine Tränen zu. Später fragte mich Marie, ob mit mir alles in Ordnung sei. Natürlich habe ich meine Gefühle für sie für mich behalten.
Die vielen Partys, die Nebenkriegsschauplätze im zwischenmenschlichen Bereich, mein Liebeskummer und nicht zuletzt meine Faulheit, haben mich zu einer Nachprüfung gezwungen. Biologie! Wie habe ich dieses Fach gehasst. Trotzdem lernte ich das ganze Heft auswendig und war relativ fit. Dennoch, die Prüfung war ein einziger Reinfall. Sie ließen mich bestehen, weil es bei mir eine besondere Situation sei. Der Versetzung in die Abschlussklasse stand nichts mehr im Wege. ...

Während eines unserer langen Telefonate habe ich meine Lippen-Kiefer-Gaumenspalte angesprochen. Ich lag im Wohnzimmer auf der Couch und habe ihr davon erzählt. Jennifer hat super reagiert. Für sie war das kein Problem. Sie meinte, sie hätte noch nie so gute Gespräche mit einem Jungen geführt. Das wäre doch das Wichtigste. ...

Das erste Mal, dass ich wieder mit jemandem darüber gesprochen habe, war bei einer kleinen Sauftour mit einem Studienkollegen. Ben hatte seit Langem ein Problem mit einer Geschwulst am Knie, die ihm sehr zu schaffen machte. In diesem Zusammenhang haben wir uns auch über meine Lippen-Kiefer-Gaumenspalte unterhalten. Es war ein sehr offenes Gespräch, indem er erwähnte, dass man mein Handicap noch sehr deutlich sehen würde. Damit hatte ich nicht gerechnet. ...

Nun hieß es, wieder bei den Eltern einziehen. Nach vier Jahren war das eine schwierige Situation. Die Frage, wie’s weitergehen sollte, was ich nun mit meinem Leben anfangen wollte, stand überdimensional im Raum. ...

Ich habe den Kern dieses Films immer so interpretiert, dass es dabei nicht um Frauen, sondern um den Menschen geht. Ich bin der Meinung, dass es wichtig ist, mit sich selbst im Reinen zu sein, und sich mit sich selbst beschäftigen zu können. Diese Erkenntnis war bei mir sicherlich nicht immer vorhanden, denn meine Trauer und meine Gedanken gingen immer in die Richtung, dass sich in einer Beziehung eh alles ändern würde. Bis zu einem gewissen Grad mag das korrekt sein, doch ich muss mich auch akzeptieren, um überhaupt die Ausstrahlung zu besitzen, die Frau fürs Leben zu finden, und um ihr zeigen zu können, was für ein Mensch ich bin. ...